Ludwigs
Burg
Festival

Götterfunken im Lockdown

Kultur in Zeiten von Corona

Obgleich die Kultur auch in düsteren Lockdown-Zeiten Trost spenden kann, ist dieser Stellenwert in Deutschland aktuell wenig zu spüren. Doch Kunst ist Bildung, in Kunst steckt Menschlichkeit, für manche ist Kunst vielleicht sogar Ersatzreligion. Sie kann gerade in Zeiten, in denen die westlichen Demokratien in der Krise sind, in denen viele Menschen das Vertrauen verloren haben, faktenresistent geworden sind oder Diskussionen mit Aggression statt Argumenten führen, einen besseren Weg aufzeigen.

Möchte man sich derzeit über die ständig wechselnden Corona-Verordnungen im kulturellen Bereich informieren, so fällt etwas Kurioses auf: Die Regelungen für Kultureinrichtungen findet man in den Sparten »Freizeit«, »Unterhaltung« oder sogar »Sport«. Ins Theater zu gehen ist damit – überspitzt formuliert – mit dem Besuch eines Clubs gleichgesetzt. Das wollte unter anderem die Berliner Kulturszene nicht auf sich sitzen lassen. In einem offenen Brief an Bürgermeister Michael Müller plädierte sie vergangenen November eindringlich dafür, mehr zu sein als »reine Freizeitangebote«. 


Wenn wir in die Oper, ins Konzert oder ins Theater gehen, werden wir nicht bloß unterhalten. In der Geste des Grafen Almaviva, der am Ende von Mozarts Oper »Le nozze di Figaro« vor seiner Frau niederkniet und um Verzeihung bittet, lernen wir, was es heißt, sich eigene Fehler einzugestehen und eine Entschuldigung von Herzen auszusprechen. Wenn Gretchen in Goethes »Faust« ihren Monolog »Meine Ruh ist hin« spricht, erkennen wir die Folgen einer unausgeglichenen Liebe. Die Kunst ist mehr als geselliger Zeitvertreib, sie erzählt von Menschen und vom Menschsein. Von grauenvollen Geschehnissen wie von paradiesischen Utopien. »Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuss der ganzen Welt!« Wie schön ist dieses Schiller-Zitat am Ende der 9. Sinfonie von Beethoven. In der Musik wird der Traum Realität: Wir freuen uns darüber, Mensch zu sein. Religion, Herkunft, Geschlecht – all das ist nicht bedeutend. Wir alle spüren den höchsten Götterfunken.


Wer einmal in den Genuss einer solchen kulturellen Erfahrung gekommen ist, weiß um die Relevanz der Kunst für die Welt. Kunst ist Bildung, in Kunst steckt Menschlichkeit, für manche ist Kunst vielleicht sogar Ersatzreligion. Sie kann gerade in Zeiten, in denen die westlichen Demokratien in der Krise sind, in denen viele Menschen das Vertrauen verloren haben, faktenresistent geworden sind oder Diskussionen mit Aggression statt Argumenten führen, einen besseren Weg aufzeigen.


Obgleich die Kultur auch in düsteren Lockdown-Zeiten Trost spenden kann, ist dieser Stellenwert in Deutschland aktuell allerdings wenig zu spüren. Der Konzertdesigner Folkert Uhde, Gast der diesjährigen Ludwigsburger Schlossfestspiele, bemerkt: »Das Hauptproblem in der Kultur besteht generell darin, dass wir für die allermeisten nicht besonders wichtig sind«. Die Konsequenzen daraus sind fatal für die Kunstschaffenden. Zur ohnehin vorhandenen Angst vor dem Virus kommen Gedanken, man sei als Sänger*in durch das Ausscheiden von Aerosolen plötzlich eine Gefahr für die Allgemeinheit, wie Anna Prohaska, Sopranistin bei den Schlossfestspielen in dieser Saison, berichtet. Noch schlimmer steht es um die finanziellen Sorgen und Nöte in der Branche. Wer nicht zu den gefeierten Stars zählt, wer keine Festanstellung besitzt oder wer gerade ins Berufsleben starten möchte, bleibt derzeit auf der Strecke. 


Hoffnung und Verantwortung

Doch wie soll man mit dieser Situation umgehen? Wir als Ludwigsburger Schlossfestspiele möchten zwei Prinzipien folgen: Hoffnung und Verantwortung. Es hilft nichts, die Corona-Krise kleinzureden. Man muss die Krankheit maximal ernst nehmen und verantwortungsbewusst reagieren. Dennoch sind Menschen am Ende immer dann erfolgreich, wenn sie Hoffnung und Optimismus wahren.


So schwer es auch erscheinen mag, aber Corona kann auch eine Chance bedeuten. Eine Chance dazu, neue Konzertformate zu etablieren und ein neues Publikum zu gewinnen. Einreisebeschränkungen zwingen uns damit aufzuhören, umweltschädigende Konzerttourneen zu fördern. Durch Kammermusikkonzerte in Höfen oder Aufführungen im Alters- oder Pflegeheim für die isolierten Risikogruppen konnte die Kunst an ungewohnte Orte gelangen. Prohaska erzählt, dass sie durch das Singen auf ihrem heimischen Balkon ihre Nachbarschaft besser kennenlernte.


Auch das Thema Digitalisierung spielt seit Corona eine noch wichtigere Rolle. Die Kultur muss auf diese Entwicklung Antworten finden. Streaming und Onlineformate müssen stärker genutzt werden. Das verlangt aber auch die Bereitschaft der Künstler*innen. Für Prohaska ist Konzert-Streaming das »Schlechteste aus beiden Welten«, da weder die editorische Freiheit der Studiosituation noch die Spannung einer Liveatmosphäre vor Publikum gegeben sei. Aller Anfang ist sicherlich schwer. Kaiser Wilhelm II. sagte einst: »Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung« – eine vorschnelle Einschätzung, wie wir heute wissen. 


»New Deal«

In diesem Sinne sollte man auch jetzt keine Angst vor Neuem haben. Folkert Uhde geht noch weiter und ist überzeugt, dass die Kultur einen »New Deal« benötigt. Das bedeutet: mehr Frauen in leitenden Funktionen, mehr Nachhaltigkeit, eine radikale Abkehr von der systematisierten Konzertdramaturgie sowie das Etablieren neuer Formate und Werke. Erste Schritte in diese Richtung gab es schon vor Corona, auch bei den großen, etablierten Häusern – ob nun durch Digital Concert Hall in der Berliner Philharmonie oder durch Programme für Demenzkranke an der Oper Köln. Und natürlich haben auch wir, die Ludwigsburger Schlossfestspiele, bereits vor Corona unseren Nachhaltigkeitskompass erarbeitet. 


Nachhaltigkeit leben

Die derzeitige Krise ist für uns alle eine große Herausforderung. Auch an den Ludwigsburger Schlossfestspielen ist Corona nicht spurlos vorbeigegangen. Planungssicherheit ist in diesen Zeiten unmöglich. Vieles ist nicht in gewünschter Weise realisiert worden. Der Resonanzraum, der 2020 ein Ort der Begegnungen werden sollte, konnte nicht wie geplant entstehen.


Wir lassen uns aber nicht entmutigen und gehen optimistisch in die Zukunft. Wir wollen nicht mehr nur als »Output-orientiertes System« funktionieren, wie es Philippe Bischof als Grundproblem der Kulturbranche erkannt hat. Wir wollen zeigen, dass beispielsweise ein Programmheft auch einen universelleren Stellenwert besitzt und am Ende der Saison kein Wegwerfprodukt ist. Dies ist nicht nur aus ökologischen Gründen wichtig, sondern ebenso, um die Arbeit derjenigen zu würdigen, die abseits des Rampenlichtes täglich ihr Bestes geben, um die Kultur in unserem Land voranzubringen. Wir wollen uns für Geschlechtergleichheit einsetzen und mehr Dirigentinnen fördern. Wir wollen auf die Veränderungen im digitalen Zeitalter Antworten finden und präsentieren unserem Publikum eine neue Website. Wir wollen, dass Kunst auch weiterhin live erlebt und als partizipatives Gemeinschaftserlebnis verstanden wird. Kurzum: Wir wollen, dass die 17 Nachhaltigkeitsziele für uns nicht nur eine vage Orientierung darstellen. Wir wollen sie leben.

Wir freuen uns sehr, Sopranistin Anna Prohaska und Konzertdesigner Folkert Uhde bei den diesjährigen Schlossfestspielen 2021 willkommen zu heißen, und empfehlen folgende weiterführende Artikel und Gespräche zum Thema »Kultur in Zeiten von Corona«:


Carolin Emcke (Autorin und Publizistin) im Gespräch mit Anna Prohaska, Thomas Kufus (Filmproduzent) und Stephan Behrmann (Dramaturg, Theaterwissenschaftler, Autor)


Folkert Uhde (Konzertdesigner) über den »New Deal« im Gespräch und im Kommentar


5 Thesen von Philippe Bischof (Direktor der Kulturstiftung Pro Helvetia) für eine bessere Zukunft der Kulturbranche


Anna Prohaska (Sopranistin) über das Singen im Lockdown